Noch bevor die Schulleiterin Doris Stutz über den Verlauf des neuen Schuljahres nach dem Hochwasser im Ahrtal sprach, wollte sie etwas anderes loswerden: „Unsere Schule hatte viel Glück, dass wir keine Toten betrauern müssen.“ Die Pädagogin der Alfred-Kästner-Realschule in Bad-Neuenahr-Ahrweiler brach dabei fast in Tränen aus. „In unserer Schule gibt es 53 Familien, die alles verloren haben, die aus ihren Häusern wegziehendes mussten. Wir wissen nicht, wie viele Kinder davon zurückkommen. Viele sagten, dass sie es wollen.“ Bisher haben 320 Mädchen und Jungen die Schule besucht. Stutz kennt die Kinder alle persönlich.
Viele Schulen wurden beschädigt, das Schulgebäude war etwa 100 Meter von der Ahr entfernt. In der Nacht zum 15. Juli 2021 wurde das Erdgeschoss komplett überflutet. „Außer der Decke ist alles vernichtet worden“, berichtet die Direktorin. Im Erdgeschoss befanden sich unter anderem Verwaltungsräume, das Lehrerzimmer, Bibliothek, Schülertoiletten sowie verschiedene Fachräume. Dazu gehörte auch ein darunter ein naturwissenschaftlicher Raum mit „Sicherheitsschränken für die Chemikalien“. Er wurde erst vor einem Jahr in Betrieb genommen. Nach Angaben des Rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums wurden landesweit rund 40 Schulen durch das Hochwasser beschädigt. 19 Schulen wurden schwer beschädigt und konnten nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Nach vorläufigen Schätzungen liegt der Verlust im dreistelligen Millionenbereich. Einige Schulen haben Containerlösungen gefunden, andere können die Räumlichkeiten anderer Schulen nutzen.
Helfer aus ganz Deutschland
Auch wenn ihre Schule wie eine Baustelle aussieht – Schulleiter Stutz freut sich, zumindest eingeschränkt wieder am Unterricht teilnehmen zu können. Sie hat immer wieder betont, dass dies ohne die Hilfe und Unterstützung unzähliger Helfer aus ganz Deutschland nicht möglich wäre. Sie und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen arbeiteten auch in den kompletten Sommerferien. 80 Leute kamen extra mit einem Bus aus Münster, um den Estrich zu entfernen. „Kein Estrichlärm während der Schulzeit“, dies war der Rektorin besonders wichtig. „Da sind wir weiter als andere“. Die Fenster respektive die Reste davon werden derzeit entfernt. „Ein bisschen Baulärm lässt sich ertragen“, sagt Stutz. Viele der unbrauchbaren Räume sind durch Holzwände abgetrennt.
Gespendete bunte Schulranzen
In einem Klassenzimmer im Obergeschoss reihen sich viele bunte Schulranzen nebeneinander, gefüllt mit allem, was die Schüler brauchen: Stifte, Füller, Notizblock, Taschenrechner, Trinkflaschen. „Die sind für die Kinder, die ihren im Hochwasser verloren haben“, so Schulleiterin Doris Stutz. Es handelt sich um Spenden von Unternehmen und Privatpersonen. Außerdem erhielt jede betroffene Familie einen Geldbetrag von der Schule und die Unterstützung von Helfern. In einem anderen Klassenzimmer richten zwei Lehrer eine Leseecke neu ein. Sie hätten „viele Buchspenden bekommen“, erzählt Lehrkraft Caroline Rheinbei. „Für einen separaten Raum reichte es aus Platzgründen nicht“. Sie hoffen dennoch, für die Schülerinnen und Schüler möglichst viel Normalität zu schaffen. Das Versuchen auch die Lehrer, die das Bücherregal im Nebenzimmer blau streichen. Für die neuen Fünftklässler soll dieser Raum, so die Schulleiterin, wohnlich aussehen. „Da im Erdgeschoss all die Räume verloren gegangenen sind, die Schule ausmachen, möchten wir es hier in den Klassenräumen so Behaglichkeit wie möglich machen“.
Katastrophe in den Ferien
Die Schulleiterin glaubt, das größte Problem sei der Montag – der Tag, an dem die Kinder zum ersten mal zurück zur Schule kommen werden.
„Dann treffen die Kinder, die ganz normal in den Urlaub fahren konnten, auf diejenigen, denen die Flut alles genommen hat. Es wird eine große Diskrepanz geben“, befürchte sie. Diese unterschiedlichen Erfahrungen und Gegensätzlichkeiten zu einer Klassengemeinschaft zusammenzuführen wird eine große Herausforderung sein. Daher stehen in der ersten Woche nicht die regulären Unterrichte im Vordergrund, sondern das Zusammenkommen, der Austausch und das gemeinsame Verarbeiten des Geschehenen. Schulleiterin Stutz sorgte dafür, dass Klassenlehrer den Unterricht mit Unterstützung von Kollegen und anderen pädagogischen Fachkräften durchführen. Auch ein Schulpsychologe wird vor Ort sein. „Wenn es in einer Klasse zu Tränen kommt, ist er da und die Kinder können zu ihm gehen, wann immer sie möchten“. Außerdem sei sie froh, dass es in der Schule eine Sozialarbeiterin mit Hund gäbe. „Auch der ist in den nächsten Tagen sicherlich sehr gefragt“.
Schulweg als Herausforderung
Eine weitere Hürde seien die Schulwege, meint Stutz.
In der Vergangenheit brachten 31 Busse die Kinder zur Schule. Da noch viele Brücken zerstört sind, wird dies nicht funktionieren. Darum werde es einen offenen Unterrichtsbeginn geben – zumindest zu Beginn. Das zuständige Rheinland-pfälzische Ministerium für Klimaschutz, Energie, Umwelt und Mobilität hat, eigenen Angaben nach zu urteilen, in mehreren Gesprächsrunden mit dem Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Nord (SPNV), lokalen Verkehrsverbünden sowie Schulträgern, bereits darüber beraten, wie nachdem Sommerferien der Schulbusverkehr aufgestellt werden kann. Daher würden alternative Transportmöglichkeiten zu den einzelnen Schulstandorten organisiert.
Direktorin Doris Stutz hofft, dass der Unterricht spätestens nach der ersten Woche, dem normalen Stundenplan folgen kann. Trotz alledem seien Lehrer, Eltern und Schüler sehr froh, dass sie als Schule überhaupt wieder Unterricht anbieten können.
Quelle: tagesschau.de
Autor: Sophie Pixis