Youtube gilt als das erfolgreichste alternative Medium der Neuzeit. Hier treffen Unterhaltung, Kommunikation, Bildung und Information aufeinander. Zumindest in der Theorie. In der Praxis machen die straffen Inhaltsrichtlinien des Konzerns insbesondere reichweitenärmeren Youtubern häufig zu schaffen.
Ein Markt mit Ausnahmewachstum
Die Plattform Youtube zählt neben der Suchmaschine Google zu den profitabelsten Geschäftsfeldern des Global Player Alphabet. Die Pandemie im Jahre 2020 bescherte beiden Bereichen kräftige Zuwächse und offenbarte, dass sich hinter dem Schlagwort „Digitalisierung“ keineswegs nur ein Kurzzeit-Trend verbirgt. So nutzten zum Beispiel knapp 2,2 Milliarden Menschen weltweit die Videoplattform der Amerikaner. Noch imposanter der Blick auf die Suchanfragen bei Google: Satte 64.000 Suchanfragen beantwortet die KI aus dem Hause Alphabet – pro Sekunde!
Angesichts der unfassbaren Anzahl an Suchanträge erscheint es umso erstaunlicher, was für konkrete sowie ausgefeilte Algorithmen Google einsetzt – und wie bereitwillig diese von den Marktteilnehmern akzeptiert werden. Klagen über die „Richtlinien für Artikeldistributionen“ oder Beschwerden über die Unmöglichkeit der Textanalyse in Bilddateien hört man selten. Deutlich mehr Kritik erntet der Video-Dienst des Software-Riesen aus Übersee …
Heikle Themen, Nippel und Satire
Gesperrte Kanäle, gelöschte Inhalte und Abmahnungen – viele Nutzer sehen sich in ihrer Meinungsfreiheit, künstlerischen Tätigkeit oder gar in ihrem Humor auf beziehungsweise durch die Plattform Youtube gegängelt. Selbstverständlich landen Tag für Tag fragwürdige und nicht selten sogar illegale Videos auf Youtube. Den Großteil dieser anstößigen Inhalte identifiziert die KI (Künstliche Intelligenz) der Plattform bereits während des Uploads. Bestimmte Formen oder Bewegungen in Clips werden erkannt und diese unmittelbar gesperrt. Das Formulieren und Begründen einer Bitte zur Entsperrung bedeutet für die Betroffenen einen großen Zeitaufwand und führt nur in wenigen Fällen zu einer Revision der Zensur.
Neben dieser KI, die zum Beispiel auf das Erkennen von Brüsten spezialisiert ist (und insbesondere in diesem Bereich erstaunlich oft danebenliegt und Videos mit optisch nippelähnlichen Bildinhalten wie dem Stiel einer Birne konsequent sperrt) greift bei Youtube seit einiger Zeit der von der EU beschlossene Uploadfilter. Der Aufschrei über diese Praktik war groß, doch die bisher eingeführten und zugegeben aufgewichten Filter scheinen weniger Probleme als befürchtet zu verursachen. So genießen zum Beispiel satirische Inhalte nach wie vor eine recht große Freiheit auf Youtube.
Mögen oder Nicht mögen, das ist hier die Frage
Weit komplizierter verhält es sich mit politischen Inhalten, die aufgrund der – letzten Endes gesunden – heterogenen Nutzergruppe unterschiedliche Reaktionen hervorrufen können. Auf Youtube dürfen Inhalte nicht nur mit „Mag ich“ und „Mag ich nicht“ markiert werden: Hinter den drei unscheinbaren Punkten unterhalb der Video-Headline verbirgt sich der Button „Melden“. Sollte ein Video innerhalb einer bestimmten Zeit besonders häufig mit diesem Button markiert werden, greift automatisch eine Sperrfunktion. Wird ein Beitrag lediglich singulär gemeldet, erfolgt eine Prüfung nach „Ermessen“. Je nachdem, wie ausgelastet die Administratoren bei Youtube sind, erfolgt solch eine Prüfung schneller oder langsamer.
Paradebeispiele für die komplizierte und umstrittene Inhaltsprüfung von Youtube liefern Kanäle wie solche der Nachrichtenportale Kenfm, die über komplizierte Themen wie über die Einschränkung des Bargelds berichten. Auch kritische Beiträge wie solche der Plattform Reitschuster, die durchaus streitbare Ansichten im Umgang mit der Corona-Pandemie offenbaren, werden häufig gemeldet, ergo vorzeitig gesperrt. Doch es geht auch wesentlich unpolitischer: Der Held der Steine etwa musste allerlei Videos löschen, da der hiesige Baustein-Monopolist Lego im Symbol des Kanals (ein sogenannter „Noppenstein“) eine Irritation für Zuschauer erkannte. Man wolle auf jeden Fall verhindern, dass der Eindruck entstehe, der Held der Steine sei Teil des Lego-Imperiums. Dass der Youtuber unter anderen die Preisspirale und Innovationslosigkeit der Dänen kritisierte, blieb in der Begründung unerwähnt.
Systematische Zensur? Willkür? Einzelfälle?
Ein Blick auf die Konkurrenz offenbart, dass das Problem der Zensur kein Einzelfall ist: Instagram etwa sperrte kurzfristig den Kanal des Influencer und Investor-Guru Kolja Barghoorn (Aktien mit Kopf). Eine Begründung hierzu teilte das Unternehmen nicht mit. Selbiges gilt für die spätere Wieder-Freigabe des Accounts! Weit transparenter hingegen agiert der Kurznachrichtendienst Twitter: Im Januar sperrte Twitter den Account des amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit der Begründung, „das Risiko zur Anstiftung weiterer Gewalt“ zu minimieren.
Ob und in welchem Ausmaß Löschvorgänge beziehungsweise Zensuren Teil eines breit angelegten Feldzugs mit dem Ziel einer medialen Homogenisierung darstellen, mag zumindest zum aktuellen Standpunkt kein Blogger, Journalist oder Gericht mit absoluter Gewissheit bejahen/verneinen können. In Verantwortung stehen keineswegs die Plattformen alleine, sondern auch die politischen Institutionen, die die Betreiber diverser Plattformen zu umfangreichen, jedoch selten durchdachten, Kontrollen drängen. Die Devise lautet: Dran bleiben! Die Diskussion über Marktmacht beziehungsweise –manipulation, Meinungsfreiheit und Populismus im World Wide Web dürfte anhalten. Das Unternehmensblatt hält Sie auf dem Laufenden.
Autor: Melanie Berthold